Das BAG informiert:
Bislang konzentrierte sich die medizinische Forschung hauptsächlich auf den männlichen Körper. So ist eine Wissenslücke entstanden, die sich auch heute noch auf die Qualität der Behandlung von Frauen auswirkt. Verschiedene Massnahmen tragen dazu bei, diese historisch gewachsene Lücke zu schliessen.
Weil die Arzneimittelentwicklung bis zur Jahrtausendwende einem Einheitsmodell folgte, welches das männliche Geschlecht als Norm voraussetzt, blieben Unterschiede zwischen den Geschlechtern weitgehend unberücksichtigt. Dies sowohl in der präklinischen Forschung – in der vorwiegend männliche Versuchstiere genutzt werden – als auch in der klinischen Forschung, in der weibliche Versuchspersonen deutlich unterrepräsentiert sind. Dies ist eines der Resultate des Berichts des Bundesrats in Erfüllung des Postulats 19.3910 Fehlmann Rielle zur besseren Berücksichtigung der Eigenheiten von Frauen im Gesundheitsbereich.
Verschiedene Ursachen
Dabei gründet der Bias in der präklinischen Forschung in erster Linie auf der Annahme, dass Laborversuche mit weiblichen Tieren weniger zuverlässige Resultate lieferten, weil der Hormonzyklus für eine grosse statistische Streuung oder Varianz sorge. In der klinischen Forschung hat der Ausschluss von gebärfähigen Frauen aus den Studien auch mit dem Contergan-Skandal zwischen 1957 und 1961 zu tun: Das Beruhigungsmedikament wurde millionenfach als Mittel gegen morgendliche Schwangerschaftsübelkeit verwendet. Dass der Wirkstoff die Wachstumsentwicklung der Föten beeinträchtigen kann, wurde in der medizinischen Praxis erst erkannt, als sich Fehlbildungen bei Neugeborenen häuften.
Häufiger Nebenwirkungen bei Frauen
Der systematische Ausschluss von weiblichen Versuchstieren und Frauen in der klinischen Forschung hat bis heute Auswirkungen auf die Diagnose und Behandlung von Frauen. Der Männerfokus in der klinischen Forschung führt auch dazu, dass die unterschiedliche Verstoffwechselung von Medikamenten zu wenig Beachtung findet. Dabei weisen zahlreiche Forschungsergebnisse darauf hin, dass Frauen häufiger als Männer Nebenwirkungen erleiden, etwa in der Behandlung mit Krebsmedikamenten oder Psychopharmaka. Zum Beispiel ist bei Psychopharmaka das Nebenwirkungsrisiko bei Frauen rund doppelt so hoch wie bei Männern.
Massnahmen zum stärkeren Einbezug von Geschlechteraspekten
In den letzten Jahren hat die Anzahl Studien, die biologisch begründete Geschlechteraspekte berücksichtigen, zugenommen. Doch sie sind immer noch in der Minderheit und nur wenige Studien analysieren die geschlechtsspezifischen Auswirkungen in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit. Um die historisch gewachsene Wissenslücke allmählich zu schliessen, hat der Bundesrat im Jahr 2023 das mit 9.6 Millionen Franken dotierte Nationale Forschungsprogramm «Gendermedizin und -gesundheit» (NFP 83) lanciert.
Zudem beauftragt der Bundesrat im Postulatsbericht Fehlmann Rielle mehrere Bundesstellen damit, den Einbezug von Frauen in der klinischen Forschung zu erhöhen. So soll etwa das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic unter anderem überprüfen, ob bei internen Leitlinien zur Beurteilung von Arzneimitteln konkrete Arbeitsanweisungen zur Berücksichtigung von Geschlechteraspekten ergänzt werden müssten. Bereits heute verlangt Swissmedic, dass die pharmazeutischen Unternehmen ihre Studien gemäss den geltenden Richtlinien, unter anderem der ICH-Richtlinien («International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use») durchführen. Die Richtlinien stellen etwa sicher, dass auch Frauen in klinischen Studien berücksichtigt werden und fordern für die späteren Phasen von klinischen Studien, dass demografische – einschliesslich geschlechtsspezifische – Unterschiede in der Dosis-Wirkungs-Beziehung untersucht werden.
Neuer Artikel in Verordnung zur Forschung am Menschen
Der Bundesrat hat im Rahmen der Revision des Verordnungsrechts zum Humanforschungsgesetz einen neuen Artikel vorgeschlagen: Der Artikel 4a in der Verordnung über klinische Versuche (KlinV) zielt auf eine ausgeglichenere Geschlechterverteilung ab. Das neue Verordnungsrecht ist am 1. November 2024 in Kraft getreten. Damit wurden verbindliche Vorgaben geschaffen, um eine angemessene Repräsentation und eine stärkere Beteiligung von Frauen an der Forschung am Menschen zu ermöglichen.
Quelle:
spectra, Ausgabe Nr. 143, Feb. 2025